Der letzte Hirsch des Jahres

Freitagabend, 19:00 Uhr, in der Münchner Innenstadt. Ohne irgendwo was reserviert zu haben ist das nun wirklich nicht die beste Zeit, um auf ein Feierabendbier loszuziehen. Ins Gasthaus Isarthor, ja, mit ‚th‘ geschrieben, sind wir gleich gar nicht rein gekommen. Und das obwohl wir nicht mal zwei Leute waren, sprich es war nur ich. Keinen einzigen ernsthaften Stehplatz gab es mehr in dem Gasthaus, das für die Pflege seines Augustiner Hell vom Holzfass so berühmt ist. Holzfass dachte ich mir, da hab ich ja zur Zeit eh so einen Narren dran gefressen. Ich könnte auch ins Bratwurstherzl am Viktualienmarkt schauen: Hacker-Pschorr „Edelhell“ vom Holzfass. Das wäre nicht das erste Mal für mich. Schlecht ist dieses Bier, vom Fass, ja eher nicht, weiß ich von früheren Besuchen. Doch irgendwie sieht mir das Herzl heute auch recht voll aus. Ich kann ich mich nicht so recht zum Reingehen überwinden. Am Ende lande ich im Münchner Bier- und Oktoberfestmuseum und darf freudig feststellen: Dieses Haus ist immer wieder für Überraschungen gut.

Ob ich reingehen soll oder nicht, kann ich von draußen erstmal nicht für mich ausmachen. Die Fenster zum Schankraum sind so klein, dass man dessen Füllstand schlecht beurteilen kann. Ich studiere daher erst die Speisekarte in dem kleinen Schaukästchen an der Tür. „Hirschenkarte“ steht da drauf. Ah, stimmt! Es ist ja gerade die Zeit der Wildwochen. Mir fällt gar nicht auf, dass von den knapp zehn Gerichten nur eines ein Wildgericht ist. Hirsch natürlich. Denn da kommt gerade eine heitere Menschengruppe zur Tür heraus, die mich hoffen lässt, dass gerade etwas Platz geworden sein könnte. Das war nicht wirklich der Fall. Um den Stammtisch im Schankraum stehen zahlreiche Gäste und ziemlich viele Musiker. Hier und da liegen Blasinstrumente auf den Tischen. Da ist was los heute. Doch bevor ich es mir anders überlegen kann, sieht mich der Kellner, und winkt mich weiter durch in den hinteren Gastraum. Der ist auch gut besetzt und ebenfalls mit Musikern durchmischt. Schließlich finde ich noch einen Raum weiter, in einem der vielen Zwischenräume des Museums, einen Platz an einem Stehtisch. Es ist ein gut ins Museum passender Tisch, weil er gar kein Tisch ist, sondern ein Ausstellungstück. Ein historischer Gärbottich, den man nachträglich mit einer gläsernen Tischplatte versehen hat. Hier nun, als ob die Holzfässer mich in diesem Herbst verfolgen, steht doch tatsächlich ein echter Augustiner Hirsch, aus dem an diesem Abend das Museumsstüberl mit dem feinen Lagerbier Hell versorgt wird.

Hirsch, ich muss es eigentlich nicht extra erwähnen, ist die Bezeichnung für die größten der Bierfässer, wie sie auf dem Oktoberfest im Augustiner Bierzelt und im Fischer Vroni Zelt zum Einsatz kommen oder auch den ganzen Sommer über im Biergarten des Augustiner Kellers. Bekannt sind die Hirschen vor allem wegen ihres Fassungsvermögens von rund 200 Litern, was mit der Masse des leeren Fasses zusammen rund sechs Zentner ausmacht, welche die Schankleute zu wuchten haben. Von den Gästen am Gärbottichtisch werde ich bei der Bestellung meines ersten Bieres nun umgehend aufgeklärt, dass der Anlass für die Anwesenheit des Hirschen heute die Feier des „letzten Hirschen des Jahres“ ist. Das heißt, dass dieses eine Fass eben das letzte Fass von Augustiner in dieser Größe ist, das in diesem Jahr angestochen wurde. Und gleich schieben meine Trinkgenossen noch hinterhier, dass dieser dadurch eh schon besondere Festhirsch noch eine weitere Besonderheit hat. Er fasst nämlich nur 160 Liter. Der Grund dafür: ein „echter“ Hirsch würde nicht durch die Tür des Museums passen, sodass man eben diesen passgenauen kleinen Hirschen hat machen lassen. Waidmanns Dank, kann ich da nur sagen. Denn bald schon geht der Minihirsch wortwörtlich „zur Neige“. Feines Fassbier gibt es an diesem Abend weiterhin, aus den üblichen kleinen handlichen Fässern. Ich bilde mir jedoch ein, dass es mir aus dem Hirschen ein Spürchen besser geschmeckt hat. Kann das wirklich sein? Das Auge trinkt halt doch mit!

Über ralf

Ich bin der Ralf und komme aus Augschburg. Die Biere aus meiner schwäbischen Heimat liegen mir natürlich sehr am Herzen. Grundsätzlich aber mag ich alle feinen Biere. Im Besonderen verköstige ich auch gerne Craftbiere, schätze allerdings eher die nach der Regel aus dem Jahre 1516 gebrauten. Dazu gehören auch die fränkischen Rauchbiere, von denen ich einer der größten Verehrer bin. Mein Motto ist daher: "Alla Dooch fein's Seidla!"

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