Bei der Suche nach einer Bunker-Führung im Raum Hamburg (es gibt noch 700 Bunker dort!) bin ich auf das Angebot des Vereins unter-hamburg gestossen, zu einer Führung durch die Eiskeller einer ehemaligen Brauerei. Es fällt mir erst mal schwer mit meiner fränkischen Vorstellung von Bierkellern, mir das hier oben im platten Land vorzustellen, aber vor Ort wurde ich schnell aufgeklärt und habe die Führung sehr genossen, die eben nicht nur für Bergedorfer interessant ist.
Trotz miesem Wetters hatten sich ca. 30 Leute am Treffpunkt eingefunden, dazu 2 Guides, von denen einer die Führung gemacht hat und der zweite als „Lumpensammler“ die Gruppe zusammengehalten und vor allem die Lichtschalter betätigt hat – die Keller sind nämlich in Privatbesitz und werden als Lagerstätte und vor allem als Garagen genutzt und sind daher auch nicht besonders gesichert, eine Beleuchtung gibts auch erst seit 1980.
Dieser Treffpunkt nun war oben auf einem kleinen Hügel neben der Bahnlinie in Bergedorf. Überrascht erfuhr ich, dass dieser Hügel jedoch nicht zum Geesthang auf der anderen Seite der Bahnlinie gehört – man grub also nicht einen Einschnitt für die Schienen. Nein, hier war eigentlich mal eine flache Sumpflandschaft, durch die die Bille mäanderte! Aber der Reihe nach…
1863 gründeten die 9 Bergedorfer Brauer die Bergedorfer Actien-Brauerei, denn die Konkurrenz aus Hamburg war gross und einzeln konnte keiner bestehen. Da Herr Linde ja erst 12 Jahre später die Kühlmaschine erfinden sollte, war das wichtigste für einen großen Bierumsatz ein großer guter Keller. Die neue AG suchte also dieses Bille-Urstromtal aus, legte ein Fundament und begann, 2stöckig Kellergewölbe drauf zu mauern aus normalem Ziegelstein. Hierfür waren etwa 90 Maurer und 3-4 mal so viele Handlanger beschäftigt! Auf diese Art wurden etwa 5000m2 Fläche überbaut.
Über das ganze wurde dann Erde aufgeschüttet – und oben auf dem Hügel baute man die Brauerei (ein ca. 70m langes Gebäude, das nochmal wie auf Stelzen auf einem Holzgerüst errichtet war, um unten drunter sonnengeschützt Fässer lagern zu können). Von der Brauerei selbst steht heute gar nichts mehr, auf dem Hügel befinden sich 5stöckige Hochhäuser, die exakt auf den Kellermauern gebaut wurden (wegen der Tragfähigkeit). Auch die ursprünglich komplett überschütteten Ziegelmauern hat man inzwischen teilweise frei gelegt und zu Lüfungszwecken durchbrochen (etwas, was man ja für einen Kühlkeller tunlichst vermeiden will!).Neben dem Bier hat die Brauerei übrigens auch das Eis verkauft, das im Winter unten an der Bille und ihren Teichen geschnitten wurde und in den Kellern fast ein ganzes Jahr lang hielt! Gekauft wurde das von Händlern und betuchten Leuten, die sich einen „Eisschrank“ leisten konnten.
Die Bergedorfer Actienbrauerei wuchs und schluckte 1874/1876 die Borgfelder Vereinsbrauerei, die einen ähnlichen sehr gut erhaltenen Keller hatte, der aber inwzischen abgerissen ist. Das größte Geschäft wurde damals mit dem Export von Bier in die afrikanischen Kolonien, etwa Namibia, gemacht. 1912 erwarb die Holsten Brauerei in Hamburg die Aktienmehrheit an der Bergedorfer Actienbrauerei – nur um sie 1914 zu schliessen! So schaltete man damals die Konkurrenz aus. 1920 wurde das Gelände dann an privat verkauft und vermietet. 1965 hat man nach einem Brand die oberirdischen Gebäude abgerissen und schliesslich die Wohnhäuser drauf gebaut, die wir heute sehen.
Inzwischen sind wir den Hügel auf der anderen Seite heruntergekommen und stehen in einem romantischen Park, wo sich die kleine Bille höchst fotogen durch 3 Teiche schlängelt, das sieht hier fast schon nach Naturpark aus. Wir werden aber darauf aufmerksam gemacht, dass alles, was wir sehen, von Menschenhand gegraben ist: sowohl die Teiche (fürs Eis) als auch der Flusslauf, dessen Bett noch mit Kies ausgeschüttet wurde, um sauberes Brauwasser mit gleichmässiger Fließgeschwindigkeit zu erhalten, ein Schleusensystem sorgte zusätzlich für ruhiges Wasser und damit sauerstoffarmes und also ergiebigeres Eis.
Wir wenden uns nun wieder dem „Berg“ zu und gehen durch einen nachträglich eingebauten Eingang, der 1944 mit Klinker aus dem KZ Neuengamme von Häftlingen gebaut wurde. Man sieht noch die Reste der Gleisanlage, hier sollte sich Rüstungsindustrie einrichten. Man hätte hier vor allem Flugzeugrümpfe rein- und rausfahren können. Nicht, dass der Keller ein toller Bunker gewesen wäre, dafür sind die Ziegelsteinwände viel zu brüchig (ein Rüttler ist einmal durch gefallen, eine Bombe hätte alles zerrissen). Eine Flugwerft wäre allerdings in diesem Hügel supergut versteckt gewesen, feindliche Aufklärer hätten die so schnell nicht gefunden.
Es gibt noch einen zweiten Eingang, nämlich den Ersten, den einzigen originalen von 1866. Es sollte ja möglichst wenig Luftaustausch stattfinden. Darum konnte man ansonsten nur durch Schächte von oben zum Bier und Eis gelangen.
Die Kellerräume sind zum Teil zweigeschossig ausgelegt, wobei vermutlich unten das Eis und oben die Fässer gelagert wurden. Die eingeschossigen Räume sind wohl die Gärkeller gewesen. Manche hatten auch einen direkten Zugang zum Sudhaus, so dass die Räume für die erste Abkühlung nicht gleich das ganze Eis tauten. Die natürliche Temperatur hier drinnen liegt das Ganze Jahr bei 8-10 Grad, mit Eis hingegen war es dann nur knapp über Null – das erklärt auch, warum das Eis so lange gehalten hat. Das Schmelzwasser, das ja trotzdem entsteht, floss in kleinen Abflussrinnen wieder heraus und zurück in die Bille. Man installierte damals auch kein Gaslicht, denn das hätte zuviel Abwärme erzeugt – nein, man legte 1866 schon elektrisches Licht!
Weil das Gewölbe so klasse aussieht, wurde es auch schon als Filmkulisse genutzt: in einem Jerry-Cotton-Film dient es als „Kanalisation“. Man wollte eigentlich in der Wiener Kanalisation drehen, aber die war durch den Dritten Mann schon zu berühmt, die hätte gleich jeder wiedererkannt. So schminkte man sich die Gewölbe hier zurecht, ein bischen Wasser… 2 Wochen dauerte der Dreh, Reste der Farbe ist heut noch zu sehen.
2007 dann wurden hier Szenen für das „Tapfere Schneiderlein“ gedreht, hierfür wurde die Wohnstatt des Riesen nachgebaut und mit der Technik der „erzwungenen Perspektive“ den Größenunterschied simuliert. Von dem vielen dabei ausgelegten Stroh entstand dann im nächsten Frühjahr ein richtiger Rasen in den Gewölben! Der wurde allerdings weiss (wegen Lichtmangel) und ging ein.
Es gibt übrigens noch Bier von der Bergedorfer Actien-Brauerei! Bis vor 2 Jahren lagen die Markenrechte bei Holsten, die mit dieser Marke tatsächlich Dosenbier fürs Ausland produzierte, allein 2009 80 Mio. Dosen! Bis 2001 wurde das Pils in Afrika gebraut, wegen Qualitätsproblemen lies mann dann aber bei Feldschlößchen brauen, und inzwischen bei Öttinger… ähem, Qualitätsprobleme??? In Südfrankreich und Norditalien seien die Dosen erhältlich, bei besonderen Festen wird aber auch in Bergedorf aus dem Faß ein Bergedorfer Bier gezapft, das trotz anerkannt mieser Qualität (heftiges Nicken bei allen Bergedorfer Teilnehmern) aus Traditionsbewusstsein dann doch guten Absatz fände…
Zum Nachlesen hat der Verein auch viel Infos und Fotos über auf seiner Homepage aufbereitet, auch über den bereits abgerissenen Keller in Borgfelde.
Ich bin total begeistert, wie solche Unternehmungen in den diesen Zeiten entstanden sind und wünschte mir diese Vergangenheit mal 1 Woche live zu erleben.
Aus diesem Beitrag konnte man schon Ende 1800 die Globalisierungsmaßnahmen, der Mitwettbewerber, fest stellen. Die Gier nach Größe, Geltung, Geld und Macht. Ein ganz toller Bericht, der sich sehr gut lesen ließ.
Wow! Total spannender Bericht! Hat mich ganz gefesselt. Ich freu mich schon auf die kommende „Kellersaison“!