Saint Sylvestre „3 Monts“ – zu 200 Prozent Bier

Im vergangenen Winter hatte ich eines Abends im Munich Tap House eine Gruppe aus drei jungen Brauerlehrlingen getroffen. Zwischen uns hatte sich sehr schnell ein nettes angeregtes bieriges Gespräch entwickelt, während dessen ich schwer beeindruckt war, welches Bierwissen diese Burschen, ich schätze, sie waren so um die Zwanzig, wenn überhaupt schon so alt, bereits angehäuft hatten. Sie beeindruckten mich nicht nur mit ihrem theoretischen Fachwissen über das Brauen an sich, sondern insbesondere damit, welche Kompetenz sie im praktischen Umgang mit ihrem Produkt schon zeigten und wie viele Brauereien und Marken ihnen in ihrem jungen Alter bereits geläufig waren. So ließ ich mir im Laufe des Abends von ihnen gerne ein Bier empfehlen, das sie selbst gerade erst kurz vor unserem Zusammentreffen in der Getränkekarte vom Tap House für sich entdeckt hatten. Hätte ich es selbst gefunden, so wäre es für mich persönlich die Entdeckung des Jahres gewesen. Viel mehr sogar. Ich hatte und habe immer noch den Eindruck, dass ich zuvor und danach kaum ein Bier mit höheren Qualitäten genossen habe als das „3 Monts“ der „Brasserie de Saint Sylvestre“. An diesem Bier ist alles, aber auch wirklich alles in verstärktem Maße einzigartig.

Es fängt schon mit seiner Herkunft an. Das Bier kommt aus Flandern. Belgien also, ist der erste Gedanke. Aber nein.

Uit Frans Vlaanderen

steht auf der Flasche. Aus dem französischen Flandern! Da habe ich gleich mal in Erdkunde was dazugelernt, dass Flandern zum Teil auch in Frankreich liegt, ganz im Norden von Frankreich. Ich habe das Französische leider nicht in der Schule gelernt, kann mir den Rest der äußerst knappen Beschreibung auf dem Etikett jedoch auch ohne Übersetzungsprogramm zusammenreimen.

Fermentation Haute Speciale

Das bedeutet dann so was wie „Besondere Obergärung“.

Und schließlich verrät das Etikett noch

Houblons Flandre – Bière de spécialité

also eine „Bierspezialität“ mit „flandrischem Hopfen“. Damit wäre alles knappstmöglich beschrieben, alles Wichtige genannt, und nicht zu viel verraten. Immerhin so viel, dass man sich mit Spannung aufmacht zu einer Bierbegegnung der ganz besonderen Art.

Und die nächste Besonderheit kommt auch schon beim Öffnen der Flasche. Ein Flaschenöffner nützt hier nämlich nichts. Die Flasche ist mit einem ganz originalen Sektkorken verschlossen. Bei Bier kenne ich das eigentlich nur von belgischen Bieren, insbesondere bei Geuze. Gut, jetzt habe ich das also mal auf einem französischen Bier. Und dieser Korken sitzt hier so fest, dass ich tatsächlich mit dem Korkenzieher ran muss. Dies allein versetzt mich schon in eine ganz besondere Stimmung. „Une atmosphère très spéciale“ müsste ich wohl sagen, wollte ich mit der Flasche reden. Doch so weit bin ich ja noch nicht, wenn ich gerade mal den Korken gezogen habe. Dass es später während meiner Verkostung dazu kommen könnte, ist nach einem Blick auf das Rücketikett nicht ausgeschlossen. Das weist nämlich einen Alkoholgehalt von 8,5% aus – Oh, là, là. Das kann ja lustig werden!

Zuvor aber noch ein wenig Französischunterricht vom Rückenetikett der Flasche:

Bière spéciale de dégustation
À consommer avec modération. Contient du malt d’orge.

Das lasse ich mir schnell von Google übersetzen und erhalte die Auskunft „Sonderbierprobe. Genießen Sie mit Maß. Enthält Gerstenmalz.“

Ich sammle mir nochmal alles zusammen: Gerstenmalz, obergärige Hefe, flandrischer Hopfen. Jetzt bin ich aber wirklich startbereit und schenke schwungvoll ein. Ganz so schwungvoll hätte es gar nicht sein müssen, denn der wie Eischnee anzuschauende Schaum scheint ewig zu halten. Sehr beeindruckend. Von oben her noch lange darunter verborgen, kann ich durch die Seite des Glases schon die satte hellgoldene Farbe des Bieres sowie seine kristallene Reinheit und Klarheit bewundern. Mit ganz langsam abnehmendem Schaum kommt mehr und mehr und stärker und stärker der Duft des 3 Monts heraus. Frisch, zitronig, hopfig, grasig, hefig und auch malzig, hellmalzig sogar, meine ich wahrnehmen zu können. Alles ist vorhanden, feinstofflich fühlt es sich an, und ist doch kräftig und intensiv. Scheinbar widersprüchlich klingt das, und doch ist es so. Fein und elegant sind die Gerüche, aber eben deutlich, und vor allem alle in scheinbar gleicher sehr hoher Intensität harmonisch miteinander.

Im Mund bleibt diese widersprüchliche Wahrnehmung von Zart und Wild zugleich bestehen. Fluffig leicht moussiert das Bier auf der Zunge, verfliegt fast ganz im Mund, so meint man, und trotzdem ist es vollmundig malzig. Angenehm süßlich wirkt es, ist aber auch deutlich hopfig, sehr würzig mit grasig herbem Charakter. Und wieder bzw. immer noch habe ich diesen Eindruck, ein ganz feines filigranes Kunstwerk vor mir zu haben, das aber alles andere als zart und zerbrechlich ist. Mein Gefühl dabei kann ich jetzt am ehesten so beschreiben, wie das Gefühl beim Anschauen und Berühren eines teuren Rennfahrrades mit Carbonrahmen, oder lass es einen Formel 1 Rennwagen sein. Beides ist auf Leichtigkeit getrimmt, und ist doch robust und stark in seiner Struktur und für das Auge sehr schön anzuschauen. Ja, so muss ich das 3 Monts beschreiben. Leicht, und doch kräftig, klar in seiner Struktur mit deutlichen Konturen. Jetzt darf ich nicht vergessen, dass ich gerade versuche, ein Bier zu beschreiben, das 3 Monts, ein Bier, das mich so fasziniert wie wenige bis keines je zuvor.

Das 3 Monts hat einfach alles, was ein Bier ausmacht. Genau dies, und nicht mehr und nicht weniger. Und das in reinster Form. Klar und deutlich helles Gerstenmalz in reinster Farbe, reinstem Duft und reinster Vollmundigkeit. Reinste Hefe mit deutlichem, doch feinem, pfefferigem leicht schwefligem Aroma. Schließlich auch reinsten Hopfen, würzig grasig in der Nase, kräftig herb auf der Zunge und lange und angenehm nachklingend. Alle diese drei Bierdimensionen sind dabei perfekt ausbalanciert und strahlen in hoher Intensität, sodass man vor dem inneren Auge die drei Rohstoffe in der Schwebe deutlich zu erkennen meint. Ich habe wirklich noch nie zuvor ein Bier erlebt, das seine Geschmäcker auf einem derart hohen Niveau ausbreitet, so stark, und doch so fein. Das gilt auch für den Alkohol, denn die 8,5%, wo stecken die? Sie sind kaum wahrzunehmen. Nicht sofort, nicht noch während des Genusses. Später dann schon. Eine zweite Flasche am gleichen Abend … „À consommer avec modération.“ – Da sollte man sich schon dran halten. Es wäre zu schade um den Genuss, würde man sich diesen durch die Achteinhalb vernebeln lassen. Lieber weniger und dafür öfter. Der Lohn für jede einzelne Flasche, für jeden einzelnen gezogenen Korken ist der Genuss eines perfekten Bieres, eines Bieres, das zu 100% die Balance zwischen Hopfen, Malz und Hefe getroffen hat, und dessen Brauer es geschafft haben, diese Balance unbeschadet auf die Stärke von alc. 8,5% vol. anzuheben. Damit wird das Genusserlebnis am Ende doppelt so hoch: zu 200% Bier!

Ach ja, wie und warum hatten eigentlich die drei Brauerburschen dieses Wunder von Bier so scheinbar zielsicher entdeckt? Ganz einfach, verrieten sie mir: Sie fanden den Namen in der Bierkarte so lustig. Saint Sylvestre – wie Silvester. 🙂

Über ralf

Ich bin der Ralf und komme aus Augschburg. Die Biere aus meiner schwäbischen Heimat liegen mir natürlich sehr am Herzen. Grundsätzlich aber mag ich alle feinen Biere. Im Besonderen verköstige ich auch gerne Craftbiere, schätze allerdings eher die nach der Regel aus dem Jahre 1516 gebrauten. Dazu gehören auch die fränkischen Rauchbiere, von denen ich einer der größten Verehrer bin. Mein Motto ist daher: "Alla Dooch fein's Seidla!"

2 Kommentare

  1. Wow! Das ist ja mal ein Tipp – ein Jahrhundertbier, muss das sein. Danke, da bekommt gleich Lust, es auszuprobieren 🙂 Vielen Dank für die tolle ausführliche Besprechung. Aber nochmal zu Flandern. Es gehört schon zu Belgien, somit ist Silvester ein belgisches Bier. „Flandern oder die Flämische Region ist eine der drei Regionen des Königreichs Belgien.“ Das ist doch die Sache mit den Flamen und den Wallonen, die kabbeln sich stets gerne. Sie haben sicher zu viel Uderzo gelesen 😀

  2. Liebe Barbara,
    vielleicht doch einfach den Wikipedia-Artikel noch ein klein wenig weiter lesen?

    „Die Grafschaft Flandern reichte im Mittelalter bis weit in das heutige Frankreich hinein (Dünkirchen, Lille). Die Region um Dünkirchen gehört zwar zum traditionellen niederländischen Sprachgebiet, jedoch wurde seit der Französischen Revolution Französisch als einzige Amts- und Schulsprache den Bewohnern verordnet, so dass die niederländische Muttersprache in einem andauernden Sprachprozess zunehmend verdrängt wurde. Andere Gebiete des heutigen Französisch-Flanderns sind hingegen von alters her von einer französischsprachigen Bevölkerung (Waals-Vlaanderen) bewohnt.“

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