Leipziger Gose

Nachdem 1989 der antikapitalistische Schutzwall gefallen war, hatte mein Vater die durch den Krieg zerissenen Bande zu seiner heimlichen Jugendliebe wiedergeknüpft. Sie war in Leipzig gelandet. Bei unserem Besuch bei der wiederentdeckten Quasiverwandtschaft gab uns der Sohn der väterlichen Jugendliebe – nein, nicht mein (Halb-)Bruder – natürlich auch eine Stadtführung durch das damals noch recht graue Leipzig. Dabei hörte ich zum ersten mal von einem Bier namens Gose, welches typisch für den Leipziger Stadtteil Gohlis gewesen sei und vor allem von Studenten gern getrunken wurde, so erzählte unser Stadtführer. Meine große Leidenschaft für Bier hatte ich damals noch nicht entdeckt, sie schlummerte aber wohl schon im Verborgenen. Denn seit jener Stadtführung ist der Begriff „Gose“ in meinem Unterbewusstsein konserviert geblieben. Dort dümpelte die Gose allerdings noch bis ins Jahr 2007 vor sich hin. Bereits 2004 war ich durch meine Radltour ins Frankenland schon wesentlich biererfahrener geworden und 2005 hatte ich auch schon den Entschluss gefasst, meine Erfahrungen schriftlich weiterzugeben. Als Buch oder anders. Jetzt also, mit dem Blog, erst mal anders.

Was war jetzt aber so besonderes im Jahr 2007? Da war ich im Sommer mit zwei Kollegen spontan nach Perlach in die Forschungsbrauerei gefahren. Beim Essen und Trinken erzählte ich so einiges über andere Brauereien und Biere, vor allem aus dem Fränkischen. Sie merkten schon, dass ich mich wohl mit Bier recht gut auskenne. Wie um mich auf die Probe zu stellen, fragte einer der beiden dann, ob ich denn auch „Gosebier“ kennen würde. Ja klar, sagte ich. Das ist doch das Bier aus diesem Stadtviertel in Leipzig, oder? Ich war selbst ganz erstaunt, wie schnell die Erinnerung an die Stadtführung wieder präsent war. Meinen Kollegen hat meine Äußerung auch schwer beeindruckt. Er hatte wohl nicht erwartet, dass ich über solch ein Spezialwissen verfüge.

Heuer bin ich im Urlaub endlich wieder nach Leipzig gekommen. Ich war „nach Deutschland“ gefahren, natürlich auch um mal das eine oder andere Bier außerhalb meines Heimatrevieres Bayern bzw. Franken zu testen. Deutschland ist groß. Da muss man sich vorher schon überlegen, ob man nach Norden, Süden, Osten oder Westen fährt. Ich bin dann hauptsächlich in der Mitte und im Westen gewesen, siehe dazu u.a. meine Beiträge zu Köln, Düsseldorf oder Gießen. Saarbrücken kommt auch noch. Aber weil mein Urlaub eine Cabriotour war, und so ein schönes Auto auch gefahren werden muss, habe ich gegen Ende des Urlaubs noch einen Kurzabstecher in den Osten gemacht, nach Leipzig. Ich bin leider erst spät am Abend in Leipzig angekommen. Als ich dann endlich auch eine Unterkunft gefunden und mein Auto abgestellt hatte, dämmerte es schon, und als ich mich auf die Suche nach einer Gaststätte machte, war es bereits Nacht geworden. Also musste ich meine Gosenpläne begraben und ging zu einer Pizzeria in der Nähe meiner Unterkunft, an der ich auf der Anreise vorbeigekommen war. Als ich an der nächsten Einmündung die Straßenseite wechseln wollte, die Pizzeria schon in Sichtweite, warf ich einen kurzen Blick nach links in eine dunkle Gasse und wollte schon weitergehen, da bemerkte ich eine große Leuchtschrift, die mir sagte „Biergarten“. Und klein auf der linken Seite der Beschriftung erkannte ich aus der Ferne das Wappen der Erdinger Weissbierbrauerei. Na, Erdinger muss ich nicht unbedingt haben, dachte ich mir, das bekomme ich zuhause auch. Da gehe ich lieber in die Pizzeria. Und statt Bier dann vielleicht halt mal einen Wein. Andererseits – in einem Leipziger Biergarten bekomme ich unter Umständen auch lokale sächsische Spezialitäten. Also habe ich mich kurz umentschlossen und bin nach links in die Gasse eingebogen, um die Speisekarte des Biergartens zu untersuchen. Ein wahrhaft glücklicher Entschluss, denn das war kein gewöhnlicher Biergarten, sondern der Biergarten der „Gosenschenke ‚Ohne Bedenken'“, DER Gosenschenke schlechthin in Leipzig. Der Zufall, oder mein Instinkt(?), hatte mich mein Quartier keine 200m davon entfernt auswählen lassen!

Jetzt konnte ich also doch noch meine Gose testen und hier im Blog davon berichten. Das wäre auch am nächsten Tag noch gegangen, mag der Leser jetzt denken, aber da hatte ich schon einen Termin in Nürnberg, und Auto und Bier vertragen sich nun mal nicht. Weil ich an dem Abend nichts mehr erwartet hatte, hatte ich meine gute Kamera zurückgelassen und war nur mit dem Handy ausgerüstet losgezogen. Damit kann ich zum Glück aber auch Bilder machen. Bei Tageslicht ist das auch kein Problem. Nur nachts … da sah die Gose so aus wie hier rechts. Ziemlich grün und grieselig also. Da musste dann doch die gute Kamera her. Eigentlich wären die 200m zum Quartier ja nicht weit gewesen, und ich hätte einfach loslaufen können, um sie zu holen. Aber da hätte die Bedienung vielleicht glauben können, ich wäre ein Zechpreller. Ich dachte es ist wohl besser, ihr kurz meine Geschichte zu erzählen, nämlich dass ich Bierliebhaber bin, ein Blog betreibe und dafür bessere Bilder bräuchte. Ich wäre auch gleich wieder da, würde aber auch gerne die bereits getrunkene Gose zahlen und dann schnell wiederkommen. Ich kam der Bedienung wohl schon etwas wunderlich vor, sodass sie die Bezahlvariante wählte. Ich hätte das an ihrer Stelle auch so gemacht 😛 . Und fünf Minuten später stand ich wieder im Biergarten, es war schon die letzte Stunde vor Mitternacht, und konnte eine einzigartige Stimmung festhalten:

Mit diesen Aufnahmen war die Nachtfähigkeit meiner Kamera unter Beweis gestellt. Jetzt konnte ich mich in aller Ruhe ans Testen machen.

Gose pur

Nach der unverhofften Entdeckung des Gosebiergartens musste zuerst natürlich die Gose „Pur“ auf den Tisch. Auf die Frage „Was ist Gose?“ antwortet die Getränkekarte mit

Gose ist ein leicht säuerliches obergäriges Bier …

“Leicht“, das ist leicht untertrieben! Die Gose war so sauer wie total durchgegorener Apfelmost. So richtig sauer also, dass es mir beim ersten Schluck fast die Schuhe auszog. Beim zweiten Schluck wusste ich dann schon, was auf mich zukommt, und der war dann gar nicht mehr so schlimm. Man muss sich auf jeden Fall erst an den Geschmack gewöhnen. So was saures glaube ich, hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht getrunken. Hätte der Mann am Ausschank das Goseglas mit purem Zitronensaft statt mit Bier gefüllt, die Zitrone wäre nicht saurer gewesen.

Angst vor der Gose muss man jetzt aber nicht bekommen. Sie ist halt keine Limonade, sondern eben Gose, und man kann sie, wie der Name des Lokals schon seit Urzeiten sagt, „ohne Bedenken“ 😉 trinken. Durch die Säure habe ich sie – ohne jetzt irgenwas schönreden zu wollen – am Ende des heißen Julitages als willkommenes Erfrischungsgetränk zu schätzen gelernt. Weil die Leipziger aber auch im Winter ihre Gose genießen wollen, und dann nicht immer die volle Erfrischungswirkung vonnöten ist, gibt es auch entschärfte Versionen: Gosemischgetränke mit Sirup oder Likör.

Gose mit Allaschlikör

Nach zwei Gosen war mein gröbster Durst gestillt, und ich habe noch eine der vielen Mischungen probiert. Ich entschied mich für die Gose mit Allaschlikör. Die Mischungen haben alle Namen wie auf einer Cocktail-Karte. Gose mit Allaschlikör trägt dann z.B. den Namen „Regenschirm“. Vielleicht sollte ich noch erklären, was Allasch ist: Allasch ist ein Kümmellikör, der vor allem in Leipzig getrunken wird. Eine lokale Spezialität also.

Der Kümmellikör bricht den sauren Charakter der Gose, beseitigt ihn aber nicht. Das Getränk wird durch den Likör angenehm süß-sauer und von der Süße schwerer. Insgesamt schmeckt das Gemisch so ein bischen brotig. Ich war erstaunt, wie stark sich der Kümmel über die Säure legte. Gose scheint sehr gut aufnahmefähig zu sein für Fremdaromen, die freilich zur Säure passen müssen. Kümmel tut das. Gemischte Gose rutscht angenehmer die Kehle hinunter als Gose pur, wirkt aber nicht mehr so erfrischend. Der Gaumen freut sich hingegen ungemein über die geschmackliche Abwechslung.

Gosen für den nächsten Leipzigbesuch

Die Gosenschenke „Ohne Bedenken“ hat neben meinen beiden probierten Sorten noch eine ganze Reihe weiterer Kreationen zu bieten. Und ich habe mir wirklich vorgenommen noch öfter nach Leipzig zu fahren, um diese alle zu kosten:

Da gibt es z.B. zum „Regenschirm“ noch den „Sonnenschirm“, eine Gose mit Sirup rot (Himbeer) oder grün (Waldmeister). Das dürfte dann wohl die Leipziger Variante der „Berliner Weiße“ sein. Weiter dann noch Gose mit Bananen- oder Erdbeersaft und Gose mit lieblichem Weißwein. Lieblich ist wahrhaft angebracht, die Säure soll ja gemildert werden. Mit trockenem Wein würde man ansonsten den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. 😉 Zum Schluss sind noch Gosen mit verschiedenen süßen Fruchtlikören oder Curacao auf der Karte und ganz edle Mischungen, richtige Cockails, darunter sogar eine mit Sekt.

Gose Fakten

Adresse

Jetzt habe ich so viel geschrieben, und dabei fast das wichtigste vergessen! Nämlich zu sagen, wo die Gosenschenke ganz genau liegt:

Menckestraße 5 (Historische Gaststube und Bierkeller)
Poetenweg 6 (Biergarten – um die Ecke)
04155 Leipzig-Gohlis

Natürlich hat die Gosenschenke auch einen Webauftritt: www.gosenschenke.de .

Wie wird Gose eigentlich gemacht?

Im Biergarten bin ich durch mein nächtliches Fotografieren den Gästen aufgefallen und dadurch mit einigen ins Gespräch gekommen. Da habe ich dann einfach einen Gosetrinker gefragt, ob er denn wüsste wie die Gose hergestellt wird, vor allem, wie sie so sauer wird. Die Säure konnte er nicht erklären, aber er meinte immerhin, Gose würde aus Weizen gemacht. Zu der Form der Gose-Gläser würde das ja sehr gut passen. Zuhause habe ich ein bischen im allwissenden Internet recherchiert und kann das nun bestätigen. Auch die Herkunft der Säure weiss das Internet zu erklären: Die kommt von Milchsäurebakterien. Diese sind auf natürliche Weise auf dem Malz vorhanden und veranstalten in der Gose neben der herkömmlichen alkoholischen Gärung der Bierhefe noch eine Milchsäuregärung. [stimmt nicht ganz; siehe unten die Richtigstellung im Kommentar von Martin Popp]

Und zu guter Letzt bin ich bei meiner Recherche noch auf eine ganz große Überraschung gestoßen: Der Gose wird außer Hopfen und Malz noch Kochsalz zugesetzt und Koriander. Das hatte ich hinter der überwältigenden Säure gar nicht herausgeschmeckt. Für die Gose heisst das nun allerdings, dass sie nicht dem deutschen Reinheitsgebot entspricht. Das stört mich aber nicht. Dieser Patzer wird durch das außergewöhnliche Trinkerlebnis, das die Gose bereitet, mehr als ausgeglichen.

Über ralf

Ich bin der Ralf und komme aus Augschburg. Die Biere aus meiner schwäbischen Heimat liegen mir natürlich sehr am Herzen. Grundsätzlich aber mag ich alle feinen Biere. Im Besonderen verköstige ich auch gerne Craftbiere, schätze allerdings eher die nach der Regel aus dem Jahre 1516 gebrauten. Dazu gehören auch die fränkischen Rauchbiere, von denen ich einer der größten Verehrer bin. Mein Motto ist daher: "Alla Dooch fein's Seidla!"

5 Kommentare

  1. Hallo,
    ich hoffe, der Gosewirt im „Ohne Bedenken“ hat Ihnen auch die ‚echte‘ Gose, nämlich die „Döllnitzer Ritterguts Gose“ serviert?!

    Goseanna!

    Tilo aus LE

  2. Weiß Jemand, wie ein originales Kümmelglas, also der Regenschirm, welcher zur Gose gereicht wurde, aussieht und welches Maß es hat?

    Danke, Gruß

    Karsten aus LE.

  3. Hallo, kurz eine Richtigstellung zur Gose:

    …Diese sind auf natürliche Weise auf dem Malz vorhanden und veranstalten in der Gose neben der herkömmlichen alkoholischen Gärung der Bierhefe noch eine Milchsäuregärung.

    Stimmt nicht ganz.

    Es gibt zwar sog. Sauermalz, auf dem sich Milchsäure befindet, diese auf dem Malz befindlichen Milchsäurebakterien lösen die Gärung jedoch nicht aus.
    Sauermalz wird der Schüttung zugegeben um den ph-Wert der Würze zu senken.

    Sämtliche Keime, und Bakterien werden nämlich mit dem Kochen der Würze abgetötet.

    Die Milchsäure gelangt entweder durch die Luft in die Würze als sog. „wilde Gärung“ oder sie wird ab einem bestimmten Zeitpunkt dem Gärprozess zugeführt.
    Sicherlich ist sie nicht von Anfang an mit dabei, sonst würde nämlich kein Alkohol entstehen.

    • Hallo Martin,

      Danke für diese Richtigstellung. Du hast vollkommen Recht. Ich hatte das damals in meinem Enthusiasmus über dieses wunderbare Bier wohl mit Sauerteig verwechselt. Da geschieht das so. Beim Bier geht es aber wie Du richtig sagst sehr hygienisch zu. Und wenn es dann sauer wird, ist das Bier kaputt. Gezielt gemacht wie bei der Gärung der Gose aber eine großartige Sache.

      Das mit dem Sauermalz habe ich inzwschen, nach meiner Entdeckung der Gose, bei einem Crash-Braukurs gelernt.

      Gruß
      ralf

  4. Ich bin jetzt vier Jahre nach Verfassen dieses Artikels wieder einmal hier. Alles wie gehabt. Die Gose nach wie vor ein geniales Getränk. Es gibt sie zur Zeit auch in einer Version mit Sanddornlikör! Das schmeckt mir fast noch besser als der klassische „Regenschirm“, weil der Sanddorn eine eigene Säure mitbringt, die mit der Gosemilchsäure perfekt harmoniert. Die Süße vom Likör tut ihr übriges.

    Auf nach Leipzig zur Gosenschänke!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert