Die lange Zeit des Wartens ist vorbei: Die Forschungsbrauerei hat endlich wieder auf. Ein halbes Jahr lang, so empfinden es die darbenden Gäste, war sie zu. In Wahrheit sind es aber nur rund viereinhalb Monate. Und dann – ganz komisch, so sagt es die Stammbedienung Renate, kommen alle wieder und sitzen beisammen, als ob nichts gewesen wäre. So war es schon beim Großvater Gottfried Jakob, dem Gründer der FoB, und so ist es auch heute noch beim Sohn Heinrich und dem Enkel Stefan, dem heutigen Inhaber der FoB. Und zu diesem Zyklus gehört jedes Jahr im Frühjahr die Wiedereröffnungsfeier mit dem Anstich des Frühjahrsstarkbiers „Sankt Jakobus“, dem „Blonden Bock“.
Das wichtigste zuerst – Das Bier
Das ist heuer (natürlich) wieder bestens gelungen. Seine inneren Werte sind: 19,5% Stammwürze und daraus resultierende 7,5 % vol. alc., so die Auskunft von Braumeister Stefan Jakob. Diese Zahlen sagen aber nichts über den vielgerühmten außerordentlichen Geschmack des Blonden Bocks aus. Und dieser ist auch wie immer: einzigartig, einmalig, unvergleichlich. Was mir persönlich heuer aufgefallen ist, und was mir auch andere Forschungsgänger bestätigt haben, ist der extreme Reifegrad, den das Bockbier in den fünf ❗ Monaten seiner Lagerzeit über den Winter erreicht hat. Das macht den Bock trotz seiner Stärke sehr angenehm trinkbar. Der hohe Würzegehalt schlägt sich in einer fast puddingartig anmutenden Konsistenz nieder. Die lange Reifung lies die fruchtigen Noten, manche beschreiben sie als „Erdbeerbowle“, weitestgehend ausklingen. Dafür schwingt der Bock heuer in sehr malzig bierigen Tönen: Ein wahrhaft echtes flüssiges Brot und wie immer ein großartig gelungenes Meisterstück. In mein Biertagebuch habe ich dazu spontan folgenden Eintrag gemacht: „Es gibt junge Biere, es gibt reife Biere – und – es gibt vollendete Biere!“
Das Warten
Es ist klar, dass die Fans der FoB über den Winter eine harte Zeit durchzustehen haben, so ganz ohne ihr Lieblingsgetränk. Echte Alternativen zum Forschungsbier gibt es kaum. Wer mobil ist, kann ab und an in Franken Zuflucht zu den dortigen Brauereien suchen. Die etwas älteren FoB-Gänger, die in und um München bleiben, kann man z.B. mal im Weißen Bräuhaus im Tal beim Aventinus Weizenbock treffen. Es soll sogar welche geben, die mehrere Wochen lang ganz auf Bier verzichten und erst nach dieser Entwöhnungsphase langsam zu Ersatzbieren übergehen.
Am Tag der Wiedereröffnung nehme ich mir nach Möglichkeit immer frei, um dem Treiben beim Anstich beizuwohnen. Die Eröffnung ist immer an einem Freitag. Eigentlich macht das Bräustüberl an Wochentagen erst um Elf Uhr auf, an diesem besonderen ersten Tag der Saison aber warten die ersten Gäste ungeduldig schon eine gute halbe Stunde früher vor dem noch verschlossenen Tor. Unter diesen besonderen Umständen macht der Wirt dann doch mal eine Ausnahme. Der offizielle Akt des Anstichs ist traditionell um halb Zwölf. Die Stunde bis dorthin wird genutzt für ausgiebiges Feiern des Wiedersehens. Die Wirtsleute begrüßen alle Gäste mit Handschlag, ebenso die Bedienungen, man wünscht sich gegenseitig ein gutes neues Jahr, eine gute neue Saison, man tauscht sich aus über das im vergangenen Winter erlebte, bewundert die Bräune derer, die in sonnige Exile geflüchtet waren und freut sich gemeinsam auf das endlich wieder fließende beste Bier der Welt.
Der Anstich
Während draußen vor dem verschlossenen Tor die Gäste warten, ist drinnen im Bräustüberl schon allerhand los. Das kann man z.B. schon am Sauerkrautduft aus der Küche erahnen, der an diesem frühen Vormittag über die Unterhachinger Straße zieht. Doch auch im Hinterzimmer des Bräustüberls tut sich was. Da sitzen die Funktionäre des Perlacher Festrings und die Politikgrößen vom Bezirksausschuss 16 Ramersdorf/Perlach zusammen und haben eine wichtig Aufgabe zu bewältigen. Sie ermitteln nämlich, wer das erste Fass anstechen darf. Die Wahl fiel heuer auf die Bezirksausschussvorsitzende Marina Achhammer.
Pünktlich um halb Zwölf war es dann auch so weit. Plötzlich kam eine kleine Prozession aus dem Hinterzimmer in die Schankstube, angeführt von der mit grüner Wirtsschürze und Zapfhammer ausgerüsteten Ausschussvorsitzenden, untermalt mit dezenter Marschmusik von der Bräustüberlmusik. Vor dem Fass war dann kurz etwas Unruhe, bis man sich auf die beste Position für die Pressefotos geeinigt hatte. Und dann endlich der erste Stoß mit dem Hammer. Der saß genau richtig – richtig um für echte Anstichstimmung zu sorgen. Denn er ging ordentlich daneben. Die arme Anzapferin hatte mit einem mal den Zapfhahn in der Hand und bekam eine stattliche Dusche von dem edlen Bockbier ab. Die Schürze hatte sie nicht umsonst umgelegt.
Aber alles halb so schlimm. So konnte man wenigstens im Strahl aus dem Fass die kräftige dunkle Farbe des Bockbiers erkennen, die einem in den Keferloher Steinkrügen sonst verborgen bleibt. Und die beiden Braumeister Vater und Sohn Jakob waren mit ihrer Erfahrung schnell zur Seite, um das Fass wiederzubeleben. Nach wenigen Handgriffen hatten sie es wieder aufgerichtet, den Zapfhahn korrekt platziert, und Frau Achhammer konnte noch gefahrlos ein paar pressefotogeeignete Schläge ausführen.
Nach diesem geglückten Zweitdurchgang spielte die Bräustüberlmusik dann auch das obligatorische „Prosit der Gemütlichkeit“, und die Saison 2009 war eröffnet.
Man posierte noch mit den frisch gezapften Maßen für die Zeitung und ging über zum Tagesgeschäft. Die Bedienungen der FoB trugen reihenweise die gewohnt guten Speisen an die Tische, allen voran die legendären Forschungshendl, aber auch die Surhaxen, Wacholderfleisch auf Kraut, den berühmten Obazdn mit körbeweise frischen Brezen und all die anderen Köstlichkeiten. Ich selber gönnte mir einen warmen Leberkäse mit Kartoffelsalat und selbstverständlich auch eine Maß vom edlen Bock. Bald schon war das Malheur vom Anstich vergessen.
Es muss alles wohl sehr schön gewesen sein. Denn als ich nach zwei Stunden das Bräustüberl verließ, kam mir draußen durch das Tor eine Dame entgegen. Nachdem sie mich gesehen hatte, rief sie zur Begrüßung aus:
So strahlt man nur, wenn man DA raus kommt! 😀
Prost Sankt Jakobus 2009 !!!
Oh, danke ralf, der Beitrag ist ja so schön wie das Bier gut ist! Ich durfte am Abend mit zur zweiten Runde, wo noch immer eine ganz tolle Feier-Athmosphäre im gesteckt vollen Haus herrschte. Diesmal habe ich mich aber besser vorbereitet auf die 7,5%: vorher etwas Essen, auch ohne Hunger dort gleich nochmal was bestellen (lohnt eh!), und sich ganz fest vornehmen, nur 1, eine einzige wööönzige Maß zu trinken. Wenn dann doch noch ein Schnitt dazukommt, weil es halt wirklich gar so gut schmeckt, dann kann ich damit immer noch gut die S-Bahn finden und muss am „day after“ nicht so leiden…
Was mir heuer am Bier auffiel, war tatsächlich auch diese „Reife“. Also „ausgewogen“ oder so ist ja schon gar keine Ausdruck mehr. Dieses Bier hat die Weisheit des Alters! (Und gerade darum freu ich mich auch auf den Kontrast zur Wildheit der Jugend des Ayinger Zwickls nächstes Wochenende: zwei so unglaublich perfekte und extrem gegensätzliche Biere im direkten Vergleich…)